Mein Weg zu Aikido

Im Jahre 1985 begann ich in Linz mit dem Aikido-Training, nach langen vergeblichen Überzeugungsversuchen meiner lieben Freunde Christian und Erich. Bedingt durch meine pazifistische Einstellung blieben die nächtelangen Gespräche, in denen sie mir von Aikido vorschwärmten, fruchtlos. Es war für mich mit meinen Wertvorstellungen unvereinbar eine Kampfkunst auszuüben (egal welche). So war es für mich auch nicht die Kampfkunst, die mich auf die Matte führte, sondern die Einsicht, irgend etwas gegen die bedenkliche Zunahme an "inneren Werten" zu unternehmen. Diese wurde ausgelöst durch den konsequenten Genuss des Getränkes Bier, wie es das Studium zwangsläufig mit sich brachte.

Da ich bereits seit meiner Jugend Probleme mit meinen Gelenken hatte, (in Form von stechenden Schmerzen bei zu viel Bewegung, vor allem in den Knien) fielen vernünftige sportliche Aktivitäten wie Joggen (erfahrungsbedingt) oder Body Building (intellektbedingt) aus. Warum also meinen Freunden nicht einen Gefallen tun und einmal mitgehen?

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Da meine sensiblen Gelenke gepaart waren mit einer gehörigen Portion von Ungeschicklichkeit, Schlacksigkeit und Steifheit war mir klar, daß ich für Aikido völlig ungeeignet bin. Und tatsächlich! Erwartungsgemäß konnte diese Annahme hundertprozentig in der ersten Stunde empirisch belegt werden. In meiner schlimmsten Tanzstunde hatte ich nicht annähernd so viele Hände und Füße, die so überhaupt nicht meinen willentlichen Einflussversuchen gehorchten. So versuchte ich nicht allzu sehr im Weg zu stehen und überlegte, in wie vielen Tagen ich wohl wieder schmerzfrei gehen würde können. Es war nicht so, daß mir das Herumgesause, die Bewegungen und Rollen um mich herum nicht gefallen hätten, aber ich hatte die tiefe Gewissheit, dass ich nie im Leben auch nur annähernd imstande sein würde, so etwas auszuführen, ohne mir alle Knochen im Leib zu brechen. Image26.gif
Doch dann geschah etwas äußerst Merkwürdiges. Beim Verabschieden wurde ich freundlich gefragt, ob ich doch wohl das nächste Mal wieder kommen würde. Von jenen Leuten, die gekommen waren um Aikido zu lernen und denen ich eben noch auf der Matte hinderlich und ratlos gegenüber stand. Und als mir eher reflexhaft ein "ja" entwich, kam mir ein aufrichtiges "das ist fein" entgegen. Dass meine Freunde nachsichtig mit meinen ungeschickten und unkoordinierten Bewegungsversuchen waren, war sehr löblich, aber auch als Freundschaftsdienst verständlich. Dass aber wildfremde Menschen sich freuten mit mir, einem Klotz am Bein, gemeinsam Aikido zu trainieren, überstieg vollkommen mein Vorstellungsvermögen. Ich war zutiefst bewegt. Und ich kam tatsächlich wieder. Nicht unerwähnt möchte ich lassen, wie liebevoll mein Freund Christian mich mit Tiger – Balsam versorgte, mit dem ich mir meine schmerzenden Hand-, Knie- und Schultergelenke massieren konnte. stef07-42.jpg

Nach einigen Monaten Training in Linz wechselte ich nach Graz. Auch hier begegnete ich dieser wohlwollenden Atmosphäre auf der Matte. Statt (Wett)-Kampf, Konkurrenz und Auslese begegneten wir uns im Bestreben zu Lernen im gemeinsamen Tun.

Mit der Zeit begriff ich die Techniken, lernte zu rollen und zu fallen und erfuhr das aufregende Erlebnis des Werfens und Geworfen-Werdens, in der energievollen Begegnung harmonischer Bewegung. Mich begann die Philosophie dessen, was ich da auf der Matte tat, zunehmend zu faszinieren.

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1990 absolvierte ich die Dan Prüfung (Schwarz-Gurt) und begann selber regelmäßig Trainingseinheiten zu leiten. (Aikido Klub Graz). Die Verbindung zwischen Aikido und meinem Beruf als Psychologe und Psychotherapeut interessierte mich zunehmend, bis zum heutigen Tage. 253.jpg
RainerDirnberger_SELE__Page_247_Image_0003.jpg Ich schreibe dies, da viele Leute, die mich heute auf der Matte sehen, nicht glauben können, dass ich als vollkommen untalentierter steifer Klotz begonnen habe. Natürlich ist ein athletischer- sportlicher- und jugendlicher- Körpertyp von Vorteil für das Erlernen der Kampfkunst. Letztendlich ist es jedoch weder eine Frage des Alters, noch der physischen Konstitution, sondern eher eine Frage des "längeren Atems", sich seine Zeit zu geben. Vor allem aber ist es die Frage, ob man willens ist, aus der Sport- Wettkampf- Leistungs- Pyramide des "gegen den Anderen", aussteigen zu können, um das "für sich" zu finden.

 

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Mag. Rainer Dirnberger